Schlagwort-Archive: Lautung

Auf ein Wort (11): Birjuljowo

Birjuljowo (Бирюлёво) russ. [bʲɪrjʊˈlʲɵ̞və]

Übrigens: ›Birjulewo‹ – wie die Süddeutsche schreibt – ist eine schlechte Transkription, weil sie die russische Aussprache nur sehr ungenau wiedergibt. ›Birjulëvo‹ ist als wissenschaftliche Transliteration möglich, aber für den Einsatz in der allgemeinen Presse ungeeignet.

Auf ein Wort (6): Lahore

Lahore (Gurmukhi: ਲਾਹੌਰ oder ਲਹੌਰ; Shahmukhi: لہور) pandsch. [lɑhɔ̀ːɾ] bzw. [ləhɔ̀ːɾ]

Auf Englisch wird die Stadt üblicherweise, nah am Original, [ləˈhɔː] bzw. rhotisch [ləˈhɔːɹ] gesprochen. Hierauf basieren auch die meisten Eindeutschungen, so etwa die Empfehlung, die das Deutsche Aussprachewörterbuch (Krech et al. 2009) gibt, nämlich [ləˈhɔːɐ̯]. Der Aussprache-DUDEN gibt die nicht-rhotische englische Lautung an und empfiehlt fürs Deutsche, etwas weiter weg vom Englischen, [laˈhoːɐ̯]. Die tagesschau ist da mit [laˈhoːʁə] noch weiter weg – vielleicht zu weit?

Nazlı Moğulkoç

Tal der Diakritika

Ich finde es bedauerlich, dass Namen von Personen, die in deutschen Medien auftauchen, mehr oder weniger systematisch falsch geschrieben werden. Diakritika – also Sonderzeichen auf den Buchstaben wie Akzente und dergleichen – fallen fast immer weg, wenn es nicht gerade um Deutsch oder die gängigsten Fremdsprachen wie Französisch, Italienisch oder Spanisch geht. Ich spreche nicht von unterschiedlichen oder inkonsistenten Transkriptionen aus anderen Schriften, sondern von der Wiedergabe von Namen aus Sprachen, die ebenfalls mit dem lateinischen Alphabet geschrieben werden. Mir fällt kaum eine Zeitung und schon gar keine Fernsehsendung ein, die konsequent auf die korrekte Schreibweise achtet. Rühmliche Ausnahmen (zumindest manchmal) sind die Zeit und die Süddeutsche. Einen Tiefpunkt dagegen markierte die gestrige Ausgabe der tagesthemen: In deren erstem Beitrag zum Ergenekon-Prozess in der Türkei tauchte eine Anwältin namens, laut Insert, Nazli Nogulkoc auf. Das kam mir schon etwas verdächtig vor; der Autor des Films, Michael Schramm, gab sich nämlich Mühe mit der Aussprache des Namens und die stimmte mit der gezeigten Schreibweise kaum überein. Nach einer kurzen Suche war klar: Die Frau heißt Nazlı Moğulkoç, was im Türkischen [naˈzlɯ̈ moulˈkot͡ʃ] lautet. Wenn man den Tippfehler am Anfang des Nachnamens hinzurechnet, ist knapp ein Drittel der Zeichen also falsch oder unvollständig. Warum ist das schlecht? Ich finde, es spricht für mangelnden Respekt gegenüber der Person, die zitiert oder gezeigt wird. So wie man sich einerseits bemüht, inhaltliche Aussagen korrekt wiederzugeben, sollte andererseits auch die formale Seite stimmen. Fast jeder ärgert sich, wenn sein Name falsch ausgesprochen oder geschrieben wird. Gerade denjenigen, die nicht jeden Tag in der Zeitung stehen oder fürs Fernsehen interviewt werden, kann so ein Fehler die Freude am Artikel oder Beitrag sehr verderben. Ein Deutscher namens Jörg Müller wäre vermutlich auch eher befremdet als erfreut, in ausländischer Presse als Jorg Nuller vorzukommen. In der Vergangenheit war es oft schwierig bis unmöglich, die korrekten Sonderzeichen aufs Papier oder den Bildschirm zu bringen. Außer bei stark veralteten Systemen gilt diese Begründung heute jedoch nicht mehr. TheAntiqua – die Schriftart, die von den tagesthemen in Inserts verwendet wird – enthält selbstverständlich sämtliche benötigte Sonderzeichen, wie die unten stehende Abbildung zeigt:
Nazlı Moğulkoç
Da Inserts üblicherweise nicht mit dem Beitrag übermittelt, sondern live dazugefahren und demnach von einer Person, die nicht mit Autor des Films identisch ist, eingegeben werden, ist die Kommunikation zwischen Reporter und Redaktion die letzte Stelle, an der die korrekte Schreibweise im Einzelfall scheitern kann. Das kann passieren, aber sollte, wie gesagt, auf Einzelfälle beschränkt bleiben. Zudem ist es auch der Redaktion nicht verboten, nachzufragen oder dieselbe Recherche wie ich durchzuführen; Letzteres dauert ein paar Sekunden, was selbst bei engen Zeitplänen nicht zu lang sein sollte. Es sollte nicht zu lang sein, weil ein nachlässiger Umgang mit formalen Details dem Verdacht Nahrung gibt, dass mit inhaltlichen Einzelheiten ähnlich verfahren wird – auch wenn dem nicht so ist. Nazlı Moğulkoç dürfte den tagesthemen-Beitrag nicht gesehen haben, aber ich könnte mir vorstellen, dass es ihr auch lieber gewesen wäre, nicht als Nazli Nogulkoc im deutschen Fernsehen zu erscheinen.

Skizze zur Phonetik und Phonologie des Mainzer Dialekts

Unten stehende Angaben basieren ausschließlich auf meiner eigenen unzureichenden Intuition als nicht mal waschechter Muttersprachler des ›Meenzerischen‹ und bedürften näherer, gründlicherer Untersuchung. Ich schreibe dies nur auf, da ich auf Seiten wie dem Wikipedia-Artikel zum Rheinhessischen Dialekt keinerlei Informationen phonologischer oder phonetischer Art gefunden habe. Der Mainzer Dialekt zählt zum südhessischen Zweig der westmitteldeutschen Mundarten. Was hier beschrieben wird, gilt – mit einigen Abstrichen – für das gesamte nördliche Rheinhessen.

Das Konsonantensystem der Mainzer Mundart ähnelt dem des Standarddeutschen weitgehend: Alle Plosive – /p, b, t, d, k, g, ʔ/ – sind vorhanden, wenn auch nicht in derselben Distribution wie in der Hochsprache. Stimmlose Plosive, übrigens auch im Dialekt aspiriert gesprochen, kommen intervokalisch nicht vor. Alle drei Nasale des Deutschen – /m, n, ŋ/ – erscheinen auch im Mainzer Dialekt in vergleichbaren Kontexten und haben die aus dem Standard bekannten Realisierungen, wie etwa das Allophon [ɱ] für /m/ vor anderen Labiodentalen. Das Frikativinventar ist gegenüber dem Deutschen um ein Phonem ärmer: /ʃ/ steht, wo die Hochsprache /ç/ hat. Ferner vorhanden sind /f, v, s, z, ʒ, x, ʁ, h/, wobei /v/ – wie auch im Hochdeutschen – als Approximant [ʋ] realisiert wird. Die anderen Realisierungen entsprechen auch der Standardsprache. Anders als in der Standardvarietät hat /ʒ/ allerdings eine nicht bloß marginale, auf Fremdwörter beschränkte Rolle – dies wiederum bedingt durch den Fakt, dass auch bei den Frikativen keine stimmlosen Laute zwischen Vokalen stehen können. Im Anlaut kontrastieren stimmhafte und stimmlose Laute grundsätzlich, obwohl auch hier die stimmhaften Laute vielfach die Rolle übernehmen, die die stimmlosen in der Standardsprache haben: So kommt /t/ praktisch nur in (lautlich sonst gut integrierten) Fremdwörtern vor und auch /s/, ist, wie im Standarddeutschen, allenfalls auf Fremdwörter beschränkt. Oder fehlt es ganz? Dann wäre es sogar möglich, mit einem /s/-Phonem auszukommen, da die Realisierung als [s] bzw. [z] durch die Position bestimmt werden könnte: [z] im Anlaut und intervokalisch, [s] im Auslaut. Der Approximant /j/ und der Lateral /l/ stimmen in Dialekt und Hochsprache überein, was Verteilung und Realisierung angeht.

Das Vokalsystem des Standarddeutschen ist mit 14 bzw. 15 qualitativ distinkten Monophthongen laut World Atlas of Language Structures eines der reichsten der Welt. Im Mainzer Dialekt bleiben davon 11 übrig, wobei zwei der Phoneme eine Längendifferenzierung kennen: /iː, ɪ, eː, ɛ, ɛː, æ, ə, u, ʊ, oː, ɔ, ɑ, ɑː/. In der Mundart kommen die gerundeten Vordervokale /yː, ʏ, øː, œ/ nicht vor; wo diese im Hochdeutschen erscheinen, stehen in der Mundart vielfach die ungerundeten Gegenstücke /iː, ɪ, eː, ɛ/. /æ/ entspricht dem standarddeutschen /ɐ/ als Realisierung von <-er>. Von den drei Diphthongen der Hochsprache sind zwei im Dialekt zu finden, nämlich /ɑɪ, ɑʊ/. Ersteres steht häufig in Wörtern, in denen der Standard /ɔɪ/ vorsieht. Allerdings darf weder bei den Konsonanten noch bei den Vokalen von einer 1:1-Zuordnung von Phonemen des Dialekts zu denen der Standardsprache ausgegangen werden.

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Santiago de Compostela

Bei der phonetischen Eindeutschung des Namens dieser Stadt in Spanien (Galicien, um genau zu sein) gibt es mindestens zwei Möglichkeiten. Die meisten Nachrichten, die ich heute gehört habe, entschieden sich für eine Variante, die ich nicht präferiert hätte – aber der Reihe nach. Auf Spanisch lautet der Name [sanˈtjaɰo ðe komposˈtela]. Die ersten beiden Teile sollen uns nicht weiter interessieren; deren Eindeutschung ist mit [zanˈti̯aːɡo de] unkompliziert. Aber was passiert mit dem vorletzten Vokal des letzten Wortes, dem [e]? Im Deutschen kann entweder die Quantität (also kurz) oder die Qualität (also halbgeschlossen) bewahrt werden. Ein kurzes [e] hat das Deutsche in betonter Position nicht. Ich hätte mich für die Qualität entschieden und [kɔmpɔsˈteːla] gesagt. Das Deutsche Aussprachewörterbuch (Krech et al.) stimmt mir zu, anders als die Sprecher und Moderatoren von tagesschau, heute und weiteren Nachrichtensendungen. Dort hieß es nämlich [kɔmpɔsˈtɛla]. Warum? Abgesehen von persönlicher Vorliebe (oder Ahnungslosigkeit) böte noch das Galicische eine Erklärung. Anders als im Spanischen lautet der letzte Teil des Namens dort nämlich [komposˈtɛla], dessen letzte zwei Silben sich mit weniger Verlust ins Deutsche übertragen lassen. Es kommen also zwei native Formen des Namens zusammen, von denen man eine als [-tɛla] eindeutschen kann und eine so eindeutschen sollte. Das sind genug Gründe für diese Lautung, aber ich muss zugeben, dass mir [-teːla] nach wie vor sympathischer ist.