Schlagwort-Archive: Pfälzisch

Auf ein Glas mit dem Wi(e)rtschaftsminister

Wenn Leute miteinander verwandt sind, kann man das manchmal sehen. Bei Sprachen ist es nicht anders. Wenn Sprachen (oder anders formuliert: Varietäten – ein Oberbegriff für Sprachen, Dialekte und alles dazwischen) einen gemeinsamen Ursprung haben, gibt es Gemeinsamkeiten in allen Bereichen: Aussprache, Wortstruktur, Satzbau usw. Auch verwenden eng verwandte Sprachen oft ähnliche Wörter für dieselben Dinge. Dann kann man eventuelle Gemeinsamkeiten noch leichter erkennen. Dem deutschen Wort Apfel zum Beispiel entsprechen das englische Wort apple und das niederländische Wort appel, die man offensichtlich ein bisschen anders schreibt als das deutsche Wort (und zwar, weil man sie auch ein bisschen anders ausspricht) – aber die Verwandtschaft ist erkennbar. Dem Wort Apfel entspricht aber auch das französische Wort pomme. Auf Basis dieser vier Wörter muss man davon ausgehen, dass das Französische mit dem Deutschen weniger eng verwandt ist als das Niederländische und das Englische. (Das stimmt auch, aber vier Wörter sind zugegebenermaßen eine etwas magere Datengrundlage.) Dass Apfel gerade im Deutschen (genauer: im Standarddeutschen, das umgangssprachlich auch als ›Hochdeutsch‹ bezeichnet wird – grob gesagt: tagesschau-Deutsch) einen pf-Laut hat und im Englischen (genauer: im Standardenglischen) und Niederländischen (genauer: im Standardniederländischen) einen p-Laut, ist ein sprachgeschichtlicher Zufall. Aber es ist ein Zufall, der einer Systematik folgt: Nimmt man sich andere Wörter, die im Deutschen ein pf haben (Kopf, Pforte, stopfen), und sucht nach einem Äquivalent im Englischen oder Niederländischen, findet man dort auch einen p-Laut (nl. kop, engl. port, nl. stoppen) – unabhängig davon, ob die Bedeutung in beiden Sprachen exakt übereinstimmt. Aus diesen systematischen Unterschieden kann man Rückschlüsse ziehen auf den genauen Grad der Verwandtschaft der Sprachen oder darauf, wie das Wort in früheren Zeiten, über die vielleicht keine Belege vorliegen (oder zumindest nicht für jedes Wort), gelautet haben muss. Der Vergleich ist aber auch dann interessant, wenn man ihn auf der Ebene der heutigen Sprachverwendung zieht.

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Frankreich in Groningen

Unlängst begegnete ich einem Gedicht des Groninger Dichters Peter Visser, der im Dialekt über sein ›aldereerste wichtje‹ – sein allererstes Mädchen – schreibt. Das Gedicht heißt ›Woar vien ik die‹ (und wurde auch von Siemen Visser vertont); seine sechste und vorletzte Strophe lautet.

Mien leutje wicht, ik blief die toerloos zuiken
of wait ik ook: krieg die ja nait weerom
Wat mout ik aans? Mien God! t Blift mie muiten
dat ik die nooit, woaraarms ook, tegenkom

Drei Wörter habe ich hierdurch gelernt: erstens woaraarms, was man, wie man sich schon denken kann, so viel wie ›irgendwo; wo auch immer‹ bedeutet; zweitens muiten, was nichts mit dem gleichlautenden standardniederländischen Wort für ›meutern‹ zu tun hat, sondern ›leidtun, reuen‹ bedeutet (die Herkunft ist mir leider unbekannt); drittens ›toerloos‹. Das ist das interessanteste der drei Wörter, wie ich finde. Ich war nicht mal sicher, ob es ein exklusives Dialektwort ist, aber dem ist wohl so. Im aktuellen Van Dale hat es jedenfalls keine Spuren hinterlassen. Entgegen meiner Vermutung, dass es so was wie ›ruhelos‹ heißt, bedeutet es ›immer, unaufhaltsam‹. Und woher kommt’s? Aus dem Französischen, von toujours, wie mir das Woordenboek der Nederlandsche Taal verrät. Andere Dialekte haben das Wort zu toeresoer und dergleichen verballhornt, aber die Groninger Form toereloers bzw. toerloos entfernt sich in dieser Hinsicht am weitesten vom Ursprung. Vielleicht hat es mit dem weiten Weg zu tun, den das Wort ab der französischen Grenze zurücklegen musste. Weniger überraschend ist, dass toujours auch in an Frankreich grenzenden deutschen Regionen Fuß gefasst hat, und zwar in Formen, die im Wesentlichen durch Akzentverschiebung auf die erste Silbe vom Französischen abweichen (vgl. die Einträge sub voce ›tuschur‹ im Pfälzischen und im Rheinischen Wörterbuch).